Drei renommierte Forschungsinstitute haben heute ihre Schätzungen für die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr drastisch reduziert und dabei auch die Ampel-Regierung kritisiert. Nach einem diesjährigen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent prognostiziert das Leibniz-Institut IWH in Halle für das kommende Jahr lediglich ein Plus von 0,5 Prozent. Das DIW in Berlin geht von einem Wachstum von 0,6 Prozent aus, während das Münchner Ifo-Institut 0,9 Prozent vorhersagt. Aber „wahrscheinlich ist die vorliegende Prognose zu optimistisch“, so Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Ifo: Regierung ohne Konzept schürt Unsicherheit
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik sei widersprüchlich und nicht verlässlich. Bund und Länder müssten voraussichtlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro einsparen - damit würde das Wachstum auf 0,7 bis 0,5 Prozent gebremst. Die Entwicklung im laufenden Quartal sei schwächer als gedacht, und „das wirkt sich dann auch im kommenden Jahr aus“, sagte Wollmershäuser am Donnerstag in Berlin. Die Unsicherheit verzögere derzeit die Erholung: Die Verbraucher sparten, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen sinke, so der Experte. Die Unklarheiten beim Bundeshaushalt beförderten dies. Bei einer Kürzung um 20 Milliarden Euro würde die Wirtschaft nur noch um 0,7 Prozent wachsen. Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest stufte die Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft für die nächsten Jahre eher schwach ein. Die Regierung habe überhaupt keine Strategie dagegen: "Da fehlt ein Konzept völlig.“ Die Voraussetzungen für eine Erholung sind durchaus gegeben, betont Wollmershäuser. Es gibt steigende Löhne, Rekordbeschäftigung und eine abnehmende Inflation. Diese soll von etwa sechs Prozent in diesem Jahr auf etwa zwei Prozent im nächsten Jahr sinken. Die Höchststände beim Zinsniveau seien bereits überschritten. Die Kaufkraft kehre zurück, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sollte wieder zulegen. Für 2025 erwartet das Ifo-Institut 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum. Der Arbeitsmarkt dürfte die konjunkturelle Flaute dabei relativ unbeschadet überstehen. Für dieses Jahr rechnen die Münchner Wirtschaftsforscher mit einem Anstieg von 191.000 Menschen und weiteren 82.000 im nächsten Jahr. Die Arbeitslosenquote steige dann auf moderate 5,9 Prozent.
DIW sieht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gefährdet
Auch das DIW erwartet von den Haushaltsbeschlüssen der Bundesregierung eher weitere Störungen statt sinnvolle Konjunktur-Booster: „Es wurde eine klare Priorität gegen Zukunftsinvestitionen gesetzt. Das dürfte die wirtschaftliche Entwicklung langfristig bremsen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden“, so DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Obwohl am Mittwoch ein Durchbruch im Haushaltsstreit der Ampelkoalition bekannt wurde, müssen die geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt für das Jahr 2024 noch konkretisiert und verabschiedet werden. Dies bringt zusätzliche Unsicherheiten mit sich. „Sicher geglaubte Investitionsvorhaben stehen jetzt zur Disposition, Fördergelder können womöglich nicht fließen“, so Geraldine Dany-Knedlik, Co-Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik im DIW Berlin. In der DIW-Prognose von 0,6 Prozent Wachstum für 2024 wird berücksichtigt, dass die Bundesregierung in den beiden nächsten Jahren Einsparungen vornehmen wird und nicht alle angekündigten oder versprochenen Ausgaben tätigt. Diese Kürzungen und die damit verbundenen Unsicherheiten dürften das Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 um voraussichtlich 0,3 Prozentpunkte und im Jahr 2025 um 0,2 Prozentpunkte beeinträchtigen.
IWH warnt vor Vertrauensverlust in Wirtschaftspolitik der Ampel-Regierung
Das reale Bruttoinlandsprodukt liegt knapp über dem Stand vor der Pandemie. Schlüsselbereiche des verarbeitenden Gewerbes, besonders die Automobil- und Chemieindustrie aufgrund des Übergangs von Verbrennungsmotoren zu Elektromotorenhaben bzw. der gestiegenen Energiepreise, haben an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die hohe Inflation führte zu anhaltendem Rückgang der Realeinkommen, während geldpolitische Straffungen die Finanzierungsbedingungen verschlechterten, besonders in der Bauwirtschaft. Ein Unsicherheitsfaktor für die aktuelle IWH-Prognose von 0,5 Prozent Wachstum in 2024 besteht dabei darin, dass die Reaktion der Politik auf das Verfassungsgerichtsurteil noch nicht im Detail bekannt ist. IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller warnend: „Solche Vertrauensverluste könnten auch kurzfristig die Konsum- und Investitionsbereitschaft in Deutschland stärker belasten, als in der vorliegenden Prognose unterstellt“.